Tash Aw: Fremde am Pier

30.10.2024 08:56
#1
avatar

Ein Pier ist ein Ort des Abreisens und des Ankommens. Für manche ist er der Ort, an dem eine aufregende Urlaubsreise beginnt, für manche ein Ort, an dem ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Letzteres war ein Pier für Tash Aws Großväter, nachdem sie in den 1920ern die gefährliche Überfahrt von China nach Malaysia unternommen hatten. Wann wird man vom Chinesen zum Malaysier? Und überhaupt: kann es so etwas wie einen „Chinesen“ geben, wo doch die kulturellen Unterschiede etwa zwischen dem Norden und dem Süden des riesigen Landes, zwischen Hokkien und Kantonesen gewaltig sind? Tash AW, der für sich in Anspruch nimmt, Chinese und Malaysier gleichzeitig zu sein, meditiert in seinem neuen Buch über Herkunft und Identität, zwei Begriffe bzw. Konzepte, die im derzeitigen öffentlichen und medialen Diskurs eine wichtige Rolle spielen.

Es sind kleine Episoden, die den als Kind chinesischstämmiger Malaysier in Taiwan geborenen, in Kuala Lumpur aufgewachsenen, in Großbritannien ausgebildeten und heute in Frankreich lebenden Autor zu diesen Überlegungen anstoßen. Da waren seine Kommilitonen an der Universität in England, die die Stammbäume ihrer Familien bis ins Mittelalter zurück verfolgen konnten, während er nicht einmal genau benennen konnte, wann und wo seine Großeltern geboren wurden. Da war dieser Taxifahrer in Bangkok, der aufgrund seines Aussehens ständig versuchte, mit ihm zu reden, obwohl der neben im sitzende Europäer im Gegensatz zu Aw fließend Thai sprach. Da waren die Jugenderinnerungen daran, wie sich seine Schulklasse immer weiter entlang sozialer, aber auch ethnischer Gruppen auffächerte. Und da waren natürlich die Erzählungen seiner Großeltern darüber, wie es war, Chinese in Malaysia zu sein.

Tash Aw ist ein renommierter Autor, der bereits zweimal für den Man Booker Prize nominiert war, Mir ist er zuerst mit seinem ausgezeichneten Roman „Wir, die Überlebenden“ aufgefallen (Rezension hier: Tash Aw: Wir, die Überlebenden). Sein neues Buch ist ähnlich kraftvoll, dabei sprachlich präzise und elegant, wobei es gegenüber dem genannten Roman nur einen Nachtteil aufweist: es ist viel zu kurz – man hätte gerne viel mehr von seinen klugen Beobachtungen gelesen.


 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!