Die 2021 verstorbene Joan Didion schrieb mehrere Romane und mit ihrem Mann gemeinsam Drehbücher (unter anderem für „A Star is Born“), berühmt wurde sie aber mit ihren Artikeln und Essays für den „New Yorker“ und die „New York Review of Books“ und die aus ihnen hervorgegangenen Sammelbände. „Das weiße Album“ ist einer dieser Sammelbände und enthält vorwiegend Arbeiten aus den späten 1960ern und frühen 1970ern. Mit ihrem subjektivem Stil wurde sie oft in die Nähe des New Journalism eines Tom Wolfe oder Hunter S. Thompson gerückt, diese Ähnlichkeit ist aber mMn nur oberflächlich: Didion war viel analytischer und weniger auf Showeffekte bedacht als ihre männlichen Kollegen. Ihre Themen waren vorwiegend das Leben und die Stimmung in den USA, speziell in Kalifornien zu dieser Zeit, als sich herausstellte, dass die Hoffnungen, die die Gegenkultur in den 60ern geweckt hatten, wohl enttäuscht werden würden. Die Charles Manson-Morde waren für Didion ein zentraler Punkt, an dem die Visionen der Flower Power-Bewegung zerschellten. Kennedy war tot, der Vietnam-Krieg nahm kein Ende, Nixon würde Lyndon B. Johnson als nächster Präsident nachfolgen – das Land schlitterte in eine flächendeckende Paranoia.

Didions Essays machen diese Stimmung an diversen Phänomenen der Alltagskultur fest (z.B. den bizarren Tod eines Predigers, der ihrer Meinung nach verfehlten Weg der damaligen Frauenbewegung, der Residenz des kalifornischen Gouverneurs, dem Getty-Museum etc.), aber auch an eigenen Stimmungen und Befindlichkeiten. Auch wenn man als heutiger Europäer etliche Personen und Begebenheiten nicht präsent hat und Google bemühen muss, sind diese Essays für ein besseres Verständnis dieses rätselhaften Landes USA auch heute noch mit Gewinn zu lesen. (P.S. Auch wenn der Titel des Buches anderes erwarten lässt: die Beatles kommen nicht vor. Dafür die Doors. Die passten auch besser zum Ende der Hippie-Ära.)