Frida Isberg: Die Markierung

10.11.2022 13:45
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Island. Das Land bereitet sich auf eine Volksabstimmung vor. Es geht um die Frage, ob ein kürzlich entwickelter Empathietest für alle Bürger verpflichtend werden soll. Personen, die bei dem Test schlecht abschneiden, würden von bestimmten Positionen in der Gesellschaft, aber auch von Schulen, manchen Wohnvierteln oder auch Lokalen und Geschäften ausgeschlossen, bis sie durch Therapie die Anforderungen des Tests erfüllen. Der Roman folgt vier Personen in den Wochen vor dem Referendum: da ist Olafur, ein Psychologe, der den Test mitentwickelt hat und nun federführend an der Kampagne zur Einführung der Testpflicht beteiligt ist. Tristan ist ein Schulabbrecher, der unter dem Druck zu zerbrechen droht und zunehmend in antisoziales Verhalten abgleitet. Die Lehrerin Vetur, selbst unter einer Belastungsstörung leidend, beobachtet mit Sorge, wie ihre Schulkinder immer ängstlicher werden, bei dem drohenden Test durchzufallen. Und dann gibt es noch die Managerin Eyja, deren Leben durch den Test zum Trümmerhaufen wird. Die Schicksale der vier Personen verschlingen sich zunehmend, während die Gesellschaft auf eine radikale Spaltung zusteuert.

Frida Isbergs Debütroman war in Island 2021 ein Überraschungserfolg, der sofort mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Kein Wunder, werden doch darin einige Fragen angesprochen, die in den letzten Jahren auch in Deutschland und Österreich heftig diskutiert wurden. Man denke nur an die Debatten über Test- und Impfpflicht in der Pandemie oder an die weiterhin andauernden Diskussionen über politische Korrektheit. Isbergs Empathietest (der in mancher Hinsicht an den Voight-Kampff-Test aus „Blade Runner“ erinnert) wirft die Frage auf, inwieweit grundsätzlich wünschenswertes Verhalten erzwungen werden darf – insofern ähnelt die Thematik auch Burgess´ „Uhrwerk Orange“. Zu dieser thematischen Brisanz kommt aber noch ein wesentlicher Umstand hinzu: das Buch ist sensibel und gleichzeitig packend geschrieben und von Tina Flecken in ein höchst angenehm zu lesendes Deutsch übertragen. Ein starkes Debüt, dass dem Leser viel Stoff zum Nachdenken gibt.


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