Beim Stöbern in einer Buchhandlung entdeckt: Thomas Glavinic: „Das größere Wunder“
Ein Mann – Jonas – auf Mount-Everest-Expedition. Während der minutiös geschilderten Qualen von Höhenanpassung und Besteigung wird in Rückblenden sein Leben erzählt: Eine Kindheit in einem von Alkohol und Gewalt bestimmten Elternhaus, aus dem er und sein von Geburt an behinderter Zwillingsbruder vom Großvater eines Freundes gerettet werden. Dieser mysteriöse „Boss“, der seine alttestamentarische Moral – Auge um Auge …- skrupellos mit Macht und Geld durchsetzt, fördert die beiden offenbar hochbegabten Freunde und lässt sie in nahezu unbeschränkter Freiheit aufwachsen. Die Jugend endet mit dem Verlust der für Jonas wichtigsten Menschen. Er führt ein Leben der Extreme, bereist die ganze Welt, nimmt an einer Antarktis-Expedition teil, vergräbt sich monatelang in einem Zimmer – immer auf der rastlosen Suche nach sich selbst, nach Sinn und nach Liebe. Als er Marie trifft, wähnt er sich am Ziel, aber sie verlässt ihn. Am Mount Everest in der Todeszone gerät er an seine physischen und psychischen Grenzen, macht die extremsten Erfahrungen von Todesnähe, Einsamkeit und Lebenswillen.
Ein vielschichtiger Roman, eine Versuchsanordnung mit märchenhaften Motiven: der unerschöpfliche Reichtum, die Burg mit den verschlossenen Türen, die (hier männliche) Fee, die Wünsche erfüllen kann, die Prüfungen. Und dazwischen einer, „der auszog, das Fürchten zu lernen“ – und das Lieben. Auch der Schluss ist märchenhaft und trivial zugleich. Das alles ist gut erzählt, trotzdem ließ mich diese rastlose Sinnsuche über weite Strecken ungerührt. Nur mein „Bergsteiger-Gen“ ließ mich weiterlesen. Das hat sich gelohnt, denn allmählich wird hinter aller Aktion das Denken und Fühlen der Hauptperson greifbarer, der Mensch hinter der Kunstfigur. Ich kannte den Autor nicht, obwohl „Das größere Wunder“ 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert war.