Andrea Wulf: Fabelhafte Rebellen – Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich

07.02.2023 10:14
#1
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Jena, 1794. Das kleine Städtchen mit gerade mal 4000 Einwohnern liegt im Herzogtum Sachsen-Weimar, das vom vergleichsweise liberalen Carl August regiert wird. Die Universität in Jena zieht Studenten aus allen Weltgegenden an. Und: hier (bzw. im nahe gelegenen Weimar) leben zwei Stars der Literatur. Da ist einmal Johann Wolfgang von Goethe, der mit seinem „Werther“ eines der grundlegenden Werke des Sturm und Drang erschaffen hatte. Nicht minder berühmt ist Friedrich Schiller, dessen „Räuber“ auf deutschen Bühnen für Furore sorgte. Als sie sich treffen und anfreunden, schaffen sie die Grundlage für eine beispiellose intellektuelle Entwicklung. Kurz darauf kommt Johann Gottlieb Fichte an die Jenaer Universität und erfindet, im Hörsaal laut denkend, das selbstbestimmte Ich – er löst schon bald Immanuel Kant als einflussreichsten Philosophen der Zeit ab. Die Gebrüder Schlegel treffen nur wenig später ein. Der Ältere übersetzt Shakespeare, der Jüngere dichtet, publiziert und legt sich mit Schiller an. Novalis stößt auch zur Gruppe, steigt kometenhaft auf und verglüht. Die Humboldts sind lose mit der Gruppe verbunden. Und schließlich Schelling: der junge Philosoph radikalisiert Fichtes Denken. Das Zentrum der Gruppe bildet Caroline, die kluge, rührige Ehefrau von August Wilhelm Schlegel, die maßgeblich an den Shakespeare-Übersetzungen mitwirkt, den Jenaer Kreis anfangs zusammenhält und später durch ihre Affäre (und spätere Ehe) mit Schelling seinen Niedergang einläutet. Knapp 10 Jahre dauert der intellektuelle Höhenflug, der den Grundstein für die Romantik legen sollte.

Andrea Wulf, in Deutschland aufgewachsen und in London lebend, konnte schon mit ihrem Buch „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ ein überzeugendes Werk über eine prägende Persönlichkeit vorlegen, das auch äußerst erfolgreich war. Diesmal versucht sie sich an einer Gruppenbiographie. Der Jenear Kreis ist dafür ein lohnendes Objekt, selten waren mehr einflussreiche Dichter und Denker zur selben Zeit am selben Ort versammelt. Wulf konzentriert sich in ihrer Darstellung auf die Jahre 1794 – 1806, die Jugendzeit der Protagonistinnen und Protagonisten behandelt sie nur kursorisch. Das ist gut so, denn dadurch bleibt mehr Platz für die hochspannenden Irrungen, Wirrungen, Ideen, Projekte, Liebschaften und Verstrickungen dieser Jahre. Das Buch ist spannend geschrieben, ohne oberflächlich zu werden und macht dem Leser bewusst, wie prägend für unser heutiges Selbstverständnis die Gedankenwelt dieser Gruppe ist (die weit davon entfernt war, homogen zu sein). Ein schönes Buch, das hiermit ausdrücklich empfohlen wird!


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10.03.2023 12:33
#2
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Wow, da bin ich ja fix angefixt!


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10.03.2023 14:38
#3
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Das freut mich! Für mich schon jetzt ein Fixstarter für die Best of 2023-Liste! (Bei mir hats vllt. deshalb besonders Klick gemacht, weil wir im Sommer 2022 ein paar Tage in der Ecke zugange waren ...)


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12.03.2023 12:56
#4
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Ich denk, ich werde mir das Hörbuch gönnen!


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