Thomas Leibnitz: Verrisse – Respektloses zu großer Musik von Beethoven bis Schönberg
#1
Wenn man heute eine Kritik über eine Aufführung klassischer Musik liest, wird man Beschreibungen und Bewertungen der Leistungen des Orchesters, der Solistinnen und Solisten, der Sängerinnen und Sänger, der Dirigentin (selten) oder des Dirigenten finden. Was man kaum finden wird, ist eine Bewertung der dargebotenen Musik, ob Oper oder Orchesterwerk (es sei denn, es handelt sich um ein zeitgenössisches Stück). Das Repertoire der Opern- und Konzerthäuser ist weitgehend kanonisiert und sakrosankt, kein Kritiker würde es etwa wagen, heutzutage z.B. eine Bruckner-Symphonie als „zu lang“ zu bezeichnen. Dabei vergisst man aber, dass das nicht immer so war. Selbst Beethoven war einmal ein zeitgenössischer Komponist und musste sich der Kritik stellen. Und die war nicht immer freundlich.
Der Wiener Musikwissenschaftler Thomas Leibnitz nimmt uns in diesem höchst unterhaltsamen Buch mit auf eine Reise in die Zeiten, in denen Ludwig van Beethoven, Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Anton Bruckner, Johannes Brahms, Richard Strauss, Gustav Mahler und Arnold Schönberg moderne Komponisten waren und von der zeitgenössischen Kritik beurteilt wurden. Selbst Beethoven, der schon zu Lebzeiten hochgeachtet und bewundert wurde, musste für sein Spätwerk teils deftige Schelte einstecken. So richtig rund ging es dann aber im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert: Wagnerianer gegen Verdianer, der Traditionalist Brahms wurde gegen Bruckner in Stellung gebracht, Strauss gegen Mahler ausgespielt – und Schönbergs Werke sorgten bereits bevor er zum Zwölftöner wurde für Aufruhr. Eine besonders bemerkenswerte Gestalt in diesem Reigen ist der Wiener Großkritiker Eduard Hanslick, der Wagner und Bruckner wegen ihrer „Melodielosigkeit“ bekämpfte, aber wiederum den melodieseligen Verdi wegen seiner „Trivialität“ schalt (und auch bei Brahms so manches Haar in der Suppe fand). Leibnitz´ Buch ist gründlich recherchiert, amüsant zu lesen – und spricht sich im Nachwort für einen „souveränen Hörer“ aus, der auch zugeben kann, wenn ihm etwas im Kanon nicht gefällt. Ich nehme mir das zu Herzen und bekenne: sosehr ich Bruckner auch schätze, empfinde ich einige seiner Symphonien als zu lang. Ein sehr amüsantes Buch, das hiermit jedem Freund der klassischen Musik ans Herz gelegt sei.
#2
Gerade heute wird hier Mahlers 8. Sinfonie in Ess-Dur angeboten, die sich von seinen sonstigen Werken deutlich unterscheiden soll. So hörte ich von einer Dame, daß sie heute dorthin gehe, obwohl sie Mahler überhaupt nichts abgewinnen könne und - obwohl sie selbst Musikerin ist - auch seinen Werken durchweg aus dem Weg gegangen sei. Allerdings reize sie die unfassbare Besetzung mit 8 Chören, 2 Orchestern, die Menge an Blasinstrumenten und Solisten, die in den 1 1/2 Stunden "untergebracht" würden.
Ich bin also gespannt, ob die Dame nach dem Konzert zu den "souveränen Hörern" gehört, die im Nachhinein Mahler durchaus Qualitäten zuspricht, selbst wenn sie den Rest seiner Musik weiterhin vermeidet. Uns so sollte es auch andersherum sein, denn letztlich lebt Kunst doch davon, daß auch ein einzelner Künstler mal aus seiner Bahn schwenkt.
#3
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