Clarice Lispector: Wofür ich mein Leben gebe – Kolumnen 1946 – 1977

11.04.2024 13:44
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Weltberühmt – in Brasilien. Clarice Lispector war in ihrem Heimatland (Russland als Geburtsort gilt wohl nicht, sie verließ es mit ihren Eltern 1922, also zwei Jahre nach ihrer Geburt) ein literarischer Star, bekannt für ihre Romane, Kurzgeschichten und ihre Kolumnen für die Zeitschrift „Jornal do Brasil“. In Europa, insbesondere im deutschsprachigen Raum war und ist sie weitgehend unbekannt. Ich bin erst letztes Jahr auf sie aufmerksam geworden, durch einen schönen Auswahlband ihrer Kurzgeschichten (Rezension hier: Clarice Lispector: Ich und Jimmy). Die Storys faszinieren durch ihre an Virginia Woolfe und James Joyce erinnernde Konzentration auf das Innenleben der Figuren und durch ihre elegante Sprache. Nun ist eine Auswahl ihrer Kolumnen erschienen, wodurch auch dieser wichtige Teil ihres Werks für deutschsprachige Leser zugänglich ist.

Lispector hatte offensichtlich für ihre Kolumne kaum Vorgaben, weder inhaltlicher Natur noch was den Umfang angeht. So sind manche der Einträge nur wenige, aphorismenhafte Sätze lang, andere wieder erstrecken sich über mehrere Druckseiten. Thematisch beschäftigte sie sich wohl mit dem brasilianischen Kulturleben (zu diesem Thema sind nur wenige Kolumnen enthalten, da sie dem deutschsprachigen Publikum weitgehend unbekannte Personen und Vorgänge behandeln), mit alltäglichen Ereignissen und Beobachtungen, Gesprächen mit Taxifahrern (etwas, was Kolumnisten heutzutage eher meiden), der Erziehung ihrer Söhne und auch ihren eigenen Befindlichkeiten. Dabei kann Lispector recht rätselhaft und hermetisch werden (eine Eigenschaft, die sie koketterweise immer wieder leugnet) und den Leser etwas ratlos zurück lassen. Aber es geht auch handfester: So schreibt sie auf Aufforderung des Fußball-Kommentators Armando Nogueira eine Kolumne über Fußball, obwohl sie zugibt, nicht davon zu verstehen – allerdings mit der Auflage, dass Nogueira eine Kolumne über das Leben schreibt (seine Antwort ist im Buch enthalten). Stilistisch ist das alles über jeden Zweifel erhaben (wieder schön übersetzt von Luis Ruby), inhaltlich stolpert man aber über manche Räselhaftigkeit. In Summe sind Lispectors Kurzgeschichten wohl zugänglicher als die Kolumnen und als Einstieg in ihre Literatur besser geeignet.


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