Matthias Glaubrecht: Am Ende des Archipels. Alfred Russel Wallace.

03.07.2023 05:43
#1
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Alfred Russel Wallace (1823 - 1913) unternahm zwei große Reisen, auf denen er eine Vielzahl neuer Arten entdeckte und sich von einem reinen Naturaliensammler zu einem anerkannten Wissenschaftler entwickelte.

Die erste Reise (1848 - 1852) führte ihn ins Amazonasgebiet, wo er sich dem Studium von Flora und Fauna widmete, in erster Linie aber auf der Jagd nach möglichst exotischen und unbekannten Exemplaren seltener oder unbekannter Arten war, um sie gewinnbringend in England verkaufen zu können. Er finanzierte damit seine Reise und erhoffte sich Anerkennung in den wissenschaftlichen Kreisen, die Bedeutung im damaligen England hatten.

Tragischerweise brach auf der Rückreise ein Feuer im Frachtraum des Schiffes aus, tausende seiner präparierten und lebenden Tiere verbrannten, Besatzung und Passagiere konnten sich mit Mühe retten. Hätte er nicht bereits vorher mehrfach Kisten mit präparierten Tieren an seinen Agenten in England geschickt, die Reise wäre eine noch größere finanzielle Katastrophe geworden, abgesehen von dem wissenschaftlichen Verlust, der durch die Vernichtung der Tiere und dem größten Teil seiner Aufzeichnungen entstanden war.

1854 brach Wallace zu seiner zweiten Reise auf, die ihn nahezu acht Jahre lang über die unzähligen Inseln des Malaiischen Archipels führen würde. Dabei entwickelte er seine Theorie der Transformation der Arten durch natürliche Auslese und begründete die Fachrichtung der Biogeographie. Wallace sammelte während dieser Zeit über hunderttausend Exemplare der verschiedensten Arten, von denen einige nach ihm benannt wurden, vor allem Insekten, Vögel, kleinere Säugetiere (aber auch einige Orang-Utans) und Reptilien.

Charles Darwin hatte seine Theorie zur Entstehung der Arten zu dieser Zeit schon niedergeschrieben, fand sie aber noch nicht ausgereift genug, um sie zu veröffentlichen. Als Wallace ihm per Brief seine Erkenntnisse über die Transformation der Arten mitteilte, beriet er sich mit Freunden, denn der Druck zur Veröffentlichung hatte damit enorm zugenommen. Nur wer als Erster zu einem neuen Thema publizierte, konnte sich des wissenschaftlichen Ruhms, der Ehre und des schnöden Mammons sicher sein. Andererseits wollte er Wallace auch nicht übervorteilen, weswegen entschieden wurde - allerdings ohne das Einverständnis von Wallace einzuholen -, beide Manuskripte am selben Tag (1. Juli 1858) bei der Sitzung der Linnean Society vorzutragen.

Dieser Vorgang und alles, was damit zusammenhängt, ist bis heute Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen unter Wissenschaftshistorikern und beansprucht eine entsprechend umfangreiche Darstellung in Glaubrechts Buch. Inwieweit hat Darwin von Wallace‘ Argumenten und Beispielen profitiert, was hat er von ihm übernommen ohne ihn namentlich zu erwähnen? Wie war die zeitliche Abfolge der Briefe, die Darwin von Wallace erreichten, wann konnte er was gewusst haben? Zur Veranschaulichung dieser Debatte ist am Ende des Bandes eine mehrseitige tabellarische Auflistung der Chronologie abgedruckt.

Wallace selbst hat damit nie ein Problem gehabt. Für ihn war Darwin der geistige Vater der Evolution, deren Motor die natürliche Selektion ist. Er publizierte mehrere Bücher zum Thema (eines widmete er Charles Darwin) und bezeichnete sich selbst bis an sein Lebensende als Darwinisten.

Vielseitig interessiert wandte er sich sozialen und philosophischen Fragen zu, seit Mitte der 60er Jahre wurde er ein Anhänger des Spiritismus. Heute ist sein Name weitgehend vergessen, die Evolution wird ausschließlich mit dem Namen und der Person Darwins verbunden.

Neben der bereits erwähnten Chronologie gibt es einen umfangreichen Anhang mit kommentierten Leseempfehlungen, einem Verzeichnis der Originalliteratur und drei Register zu Namen, Orten sowie Fauna und Flora.


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24.07.2023 16:07
#2
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Der Hamburger Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht erhält den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa 2023.


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18.08.2023 17:02
#3
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Die FAZ bespricht eine neue Biografie über Alfred Russel Wallace:

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b...e-19080748.html


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