Klaus Theweleit: Männerphantasien

05.09.2023 09:18 (zuletzt bearbeitet: 05.09.2023 09:51)
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Halleluja, es ist vollbracht! Seit vielen Jahren schon will ich dieses vielzitierte Buch lesen, das zuerst 1977/78 in zwei Bänden erschien, seit rund zwei Jahren steht die Neuausgabe von 2019 anklagend im RUB. Es ist ja auch von einschüchterndem Umfang: der eigentliche Text hat über 1000 Seiten, dazu das Nachwort der Erstausgabe, Anmerkungen und ein rund 70seitiges Nachwort zur Neuausgabe – das macht in Summe 1278 Seiten. Aber wie so vieles gestaltete es sich auch hier: hat man einmal angefangen, fiel es leichter als gedacht, ein paar Tage in ruhiger, ländlicher Umgebung samt weitgehendem Digital Detoxing haben das Leseprojekt zum erfolgreichen Abschluss gebracht.

Worum geht es also in diesem legendären Buch? Es beruht auf Theweleits Dissertation in Germanistik, in der er sich mit der Freikorpsliteratur der Zwischenkriegszeit (Ernst Jünger, Rudolf Höß und andere) beschäftigte. Auf dieser Basis entwickelt Theweleit ein Psychogramm des faschistischen, soldatischen Mannes und erschuf damit einen Klassiker der Faschismus- und Männerforschung. Theweleit schöpft stark aus der Psychoanalyse, wobei er aber die bis dahin gängigen Ansätze zum autoritären Typus von Freud und Jung weitgehend verwarf und sich auf Deleuze und Guattari, besonders aber auf die Arbeiten von Margaret Mahler zu psychotischen Kindern stützt. Demnach hätte dieser Männertyp nie ein vollständig ausgebildetes Ich entwickelt, was zu einem Zustand der ständigen Angstabwehr und damit zur Unfähigkeit zu dauerhaften, liebevollen Beziehungen, hoher Aggressionsbereitschaft und dem Aufbau eines Körperpanzers führe. Der Einfluss, den Theweleits Buch hatte (und immer noch hat) zeigt sich schon darin, dass diese seine These, so verkürzt dargestellt, heutzutage geradezu banal und als Allgemeingut gelten kann. Die Sache ist natürlich um einiges komplexer und ein wesentlicher Reiz des Buches liegt darin, Theweleit dabei zu folgen, wie er seine Kernthese Schritt für Schritt entwickelt.

Das Buch atmet natürlich den linken Zeitgeist der späten 1970er-Jahre, zwischen Suhrkamp- und Merve-Kultur, wobei man es Theweleit zugute halten muss, nie in den Jargon der K-Gruppen zu verfallen. Überhaupt ist das Buch trotz seines anspruchsvollen und komplexen Themas überraschend gut lesbar; einen Gutteil dieser Lesbarkeit verdankt es auch den zahlreichen, originell eingesetzten Illustrationen, die aus Plakaten, Comics, Filmbildern etc. bestehen und einen eher assoziativen Bezug zum Text haben. Persönlich hätte ich mir gewünscht, dass Theweleit in seinem Nachwort auf die Kritik von H.P. Duerr an der Zivilisationstheorie von Norbert Elias eingeht, auf die sich Theweleits Argumentation teilweise stützt – aber das ist angesichts dieses Meilensteins beinahe schon Beckmesserei. Fazit: Empfohlen (wenn man mal ein paar Tage nichts vor hat).


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05.09.2023 16:22
#2
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Das schiebe ich auch schon seit vielen Jahren vor mir her, und je älter ich werde um so unwahrscheinlicher wird es, dass ich es noch lesen werde. Es ist halt doch sehr umfangreich, und es gibt noch sooo viele Bücher zu lesen...


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