Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher.

09.08.2024 15:12
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Auf der ersten schwarzen Liste der „Schönen Literatur“, die maßgebend für die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 war, befanden sich 94 deutschsprachige Autoren resp. Autorinnen und 37 fremdsprachige. Von einigen standen nur einzelne Werke auf der Liste, bei den meisten war es das Gesamtwerk, das vernichtet werden sollte. Volker Weidermann hat versucht, die Spuren all dieser Autoren und Autorinnen zu verfolgen, mit unterschiedlichem Erfolg.

Der Urheber dieser und späterer Listen war Wolfgang Herrmann (1904-1945), ein Bibliothekar, der schon Anfang 1932 der NSDAP beigetreten war und seit seiner Jugend völkisches Gedankengut vertrat. Schon vor der Machtergreifung hatte Herrmann damit begonnen, Verzeichnisse zu erstellen, auf denen Werke und Autoren gelistet wurden, die aus öffentlichen Bibliotheken zu entfernen seien. Die „Aktion wider den undeutschen Geist“, den die ‚Deutsche Studentenschaft‘ schon bald nach der Machtergreifung ins Leben rief, bezog sich auf diese Listen als Grundlage für die Durchsuchung öffentlicher Bibliotheken, aus denen „unerwünschtes und schädliches Schrifttum“ entfernt werden sollte, um am 10. Mai 1933 öffentlich verbrannt zu werden.

„Das Buch der verbrannten Bücher“ führt alle betroffenen Autor*innen und ihre Werke an und kommentiert sie mit mehr oder weniger umfangreichen Texten. Weidermanns Ziel ist es, die weniger bekannten bzw. ganz vergessenen Autor*innen ausführlicher vorzustellen als die, deren Biografien und Bücher weitgehend geläufig sind. Das gelingt nicht immer, gereicht dem Buch aber nicht zum Nachteil. So ist zum Beispiel das letzte Kapitel, das sich mit der Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Joseph Roth befasst, eines der interessantesten, da es die Verwerfungen und Probleme des Exils anschaulich darstellt.

Erstaunlich ist die Wahllosigkeit, mit der diese erste Liste zusammengestellt zu sein scheint. Jüdische und linke Autor*innen stehen neben Autoren wie Max Barthel und Hanns Heinz Ewers, die sich dem neuen Regime glaubhaft angedient hatten. Neben Autoren wie Lion Feuchtwanger, die aus der Ferne - im Exil - entsetzt den Vorgängen in ihrer Heimat folgten, stehen Autoren wie Günther Birkenfeld, der mit belanglosen Texten Karriere im tausendjährigen Reich machte. Neben Ernst Toller, der sich 1939 in New York das Leben nahm, steht ein Kasimir Edschmid, der durch seine Reiseromane ein komfortables Auskommen im Reich haben sollte.

Viele der von Weidermann beschriebenen Autoren sind der Vergessenheit anheim gefallen, sie hatten den Anschluss verloren nachdem der nationalsozialistische Terror ein Ende gefunden hatte. Oder sie waren tot. Nur wenigen gelang es, ihre literarische Bedeutung und ihre Kreativität über die Jahre des Exils zu retten, um im deutschen Sprachraum wieder ihre Leserschaft zu finden. Der nationalistische und rassistische Wahn hat nicht nur ca. 60 Millionen Tote zu verantworten, sondern auch die Zerstörung wesentlicher Teile deutscher und europäischer Kultur, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen.

Volker Weidermann lässt den Text enden mit den letzten Sätzen, die Stefan Zweig in seinem Abschiedsbrief 1942 schrieb, bevor er und seine Frau Lotte sich mit einer Überdosis Veronal das Leben nahmen: „Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“ S. 240

Möge niemand sich eines Tages veranlasst sehen, ähnliche Zeilen zu hinterlassen. Die Listen sind schon geschrieben! #NieWiederIstJetzt

Volker Weidermann:
Das Buch der verbrannten Bücher.
Kiepenheuer & Witsch 2008, 253 Seiten, ISBN 978-3-462-03962-7


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