Raul Zelik: Der bewaffnete Freund.

22.08.2024 14:47
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Alex, ein Berliner Wissenschaftler, reist nach X, einer Stadt im Baskenland (es handelt sich dabei um Bilbao), um an einem Forschungsprojekt über europäische Identität zu arbeiten. Zuvor reist er mit seinem Geliebten Rabbee durch Spanien, trifft seine Exfreundin und seine Tochter beim Vater der Frau, der sich in Spanien eine alternative Existenz aufgebaut hat. Nach und nach reisen alle ab und er verbringt einige Zeit bei der Familie einer Bekannten, die eine bäuerliche Existenz in den Bergen um X führt. Ein junger Mann aus der Familie ist wegen der Zugehörigkeit zu einer illegalen Organisation inhaftiert. Alex erfährt von den brutalen Methoden, mit denen staatliche Organe gegen vermeintliche Mitglieder dieser Organisation vorgehen. Spontan bietet er Hilfe an.

Wieder zurück in X blickt Alex ein vertrautes Gesicht von den Titelseiten der Tageszeitungen entgegen. Es ist Zubieta, ein Freund, den Alex vor ca. 20 Jahren bei einem seiner vielen Aufenthalte in Spanien und im Baskenland kennengelernt hatte, der inzwischen zu einem Führungskader der „unsagbaren Organisation“ aufgestiegen sein soll und seit vielen Jahren im Untergrund lebt. Zeugen wollen ihn in Spanien gesehen haben, die Fahndung nach ihm wird intensiviert.

Wenig später wird Alex von einem Unbekannten an sein Hilfeangebot erinnert und mit der Frage konfrontiert, ob er bereit sei, den Freund aus einem Versteck im Süden Frankreichs an einen bestimmten Ort in Spanien zu fahren. Alex lässt sich darauf ein und neben der Freude, den Freund nach langer Zeit wiederzusehen, öffnen sich ihm Schleusen der Angst, der Paranoia und der Zweifel.

Raul Zelik erörtert in Gesprächen der Protagonisten und Selbstreflexionen des Erzählers die unterschiedlichen Positionen des Konflikts im Baskenland und der Probleme, die eine globalisierte Welt für kulturelle Identität mit sich bringen können. Alex sympathisiert einerseits mit den Zielen der „unsagbaren Organisation“, bei der es sich ganz offensichtlich um die ETA handelt, andererseits lehnt er aber die Methoden ab, die bei diesem Kampf angewendet werden, ebenso wie das Vorgehen des Staates im Kampf gegen den „Terrorismus“ der Separatisten. Ist es ein Anachronismus, die „marginale Sprache“, wie das Baskische von offizieller Stelle genannt wird, wieder einführen zu wollen, Zielen anzuhängen, wie sie in den 70er und frühen 80er Jahren Popularität genossen hatten, inzwischen aber doch von der Zeit überholt zu sein scheinen? Und diese Ziele mit Mord und Erpressung (gemeint ist hier die Revolutionssteuer, die die ETA von umsatzstarken Firmen erhoben hat) verwirklichen zu wollen? Hat Rabbee Recht, der die ETA mit der Rückständigkeit des IS auf eine Stufe stellt, oder doch Zubieta, der für die kulturelle Identität und die Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit eines (seines) Volkes Opfer in Kauf nimmt, die nicht nur ihn und seine Kampfgenossen betreffen, indem sie gefoltert, getötet oder für lange Zeit inhaftiert werden. Sondern eben auch andere, die ihren Bomben oder gezielten Tötungen zum Opfer fallen?

Neben der spannend aber auch sehr reflektiert geschriebenen Handlung geht es vor allem um Fragen der Identität. Alex erfährt in seinem täglichen Leben die Komplexität des Identitätsproblems, das eigentlich Thema seines Forschungsprojekts hätte sein sollen. Er selbst hat eine Veränderung seiner sexuellen Ausrichtung erlebt und wird sich seiner Unzulänglichkeit als Vater bewusst. Freunde und Familie leben ihre unterschiedlichen Identitäten, scheinbar ohne damit zu hadern, und er lebt in dem Konflikt der multiplen Möglichkeiten, sich zu definieren und auszuleben einerseits und dem Kampf seines Freundes und dessen Organisation nach einer klar definierten Identität als Volks- und Sprachgemeinschaft andererseits, während im Rest der Welt eindeutige Identitäten in der Vielfalt der Möglichkeiten verloren zu gehen scheinen.

Komplexe Themen auf sprachlich hohem Niveau lesenswert präsentiert. Ich war begeistert.

Raul Zelik (*1968)ist Autor von Romanen und Sachbüchern, auch arbeitet und lehrt er als Politikwissenschaftler. Er übersetzt aus dem Baskischen und Spanischen, seine journalistischen Publikationen sind umfangreich. Einen guten Überblick bietet seine Website: https://www.raulzelik.net

Raul Zelik:
Der bewaffnete Freund.
Blumenbar-Verlag 2007. 287 Seiten, ISBN 978-3-936738-27-8


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