Alfred Pfoser / Béla Rásky / Hermann Schlösser: Maskeraden – Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus

04.09.2024 09:46 (zuletzt bearbeitet: 04.09.2024 09:46)
#1
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Als am 8. März 1933 das österreichische Parlament ausgeschaltet wurde, in weiterer Folge auch der Verfassungsgerichtshof, das Demonstrationsrecht, die Bürgerrechte, die Pressefreiheit und das Zensurverbot abgeschafft wurden, herrschte in weiten Teilen der Bevölkerung, auch unter den Intellektuellen, die Meinung vor, diese Maßnahmen wären nur vorübergehend und das „kleinere Übel“ im Vergleich zum anhaltenden Chaos. Nur wenige warnten (etwa Anton Kuh), selbst der stets kritische Karl Kraus reihte sich in die Unterstützer des Dollfuß-Regimes ein. Niemand ahnte, dass das Land in einen Bürgerkrieg taumeln, Dollfuß ermordet und das Land schlussendlich nach 5 Jahren dann doch an Deutschland angeschlossen werden würde.

Die geschichtlichen Ereignisse dieser Jahre sind eigentlich gut dokumentiert und aufgearbeitet (auch wenn sich immer noch Teile der österreichischen Öffentlichkeit dagegen sträuben, Dollfuß als Faschisten und Diktator zu benennen). Was etwas unterbelichtet blieb, war die Kulturpolitik dieser Jahre - dieses Buch versucht, diese Lücke zu füllen. Der Titel leitet sich einerseits von einem enorm erfolgreichen Film mit Paula Wessely ab, spielt aber andererseits auf die oft grotesken Inszenierungen des Regimes an, die vorwiegend die Funktion hatten, von der eigenen Schwäche abzulenken. Denn anders als in Deutschland konnte sich das Regime nie konsolidieren, man stolperte von Krise zu Krise. Vieles blieb Stückwerk – der Machtanspruch wurde oft durch Halbherzigkeit und Schlamperei verwässert, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass im Kern das Dollfuß/Schuschnigg-Regime eine brutale Diktatur war.

Ausgehend von 57 Ereignissen der Jahre 1933 – 1938 stellen die drei Autoren, die ihre Hintergründe in der Germanistik und der Literatur-und Kunstgeschichte haben´, die Kulturlandschaft Österreichs dar: von den glanzvollen Salzburger Festspielen über die „Säuberung“ der Arbeiterbibliotheken und der Spielpläne von Oper und Theater, von der Eröffnung der Großglockner-Hochalpenstraße über den Kult um den Muttertag bis zum sich immer stärker manifestierenden Antisemitismus wird hier ein Panorama des kulturellen Lebens in diesen Jahren ausgebreitet. Die meist 5-7 Seiten umfassenden Artikel sind informativ geschrieben, oft mit Bildern angereichert; dadurch ist das Buch auch in Portionen gut lesbar. In Summe ein packendes Buch, dass einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung dieser Jahre leistet.


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06.09.2024 17:33
#2
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Bei "Das Buch neben Dir" wird Ernst Krenek erwähnt. Kannst Du mal kurz den Zusammenhang darstellen?
Vor vielen Jahren habe ich mal "Im Atem der Zeit" von Ernst Krenek gelesen und habe das Buch als ungemein interessant in Erinnerung. Das wäre etwas für eine Zweitlektüre. Wenn es nicht 1021 Seiten hätte. :-(


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06.09.2024 19:22 (zuletzt bearbeitet: 10.09.2024 08:32)
#3
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Gerne.
Für 9. Januar 1934 war die Uraufführung von Ernst Kreneks Oper "Karl V" an der Wiener Staatsoper angekündigt, unter dem Dirigat von Clemens Krauss, der das Werk 1930 beauftragt hatte. Einige Wochen vor der Uraufführung gab es Berichte in der Presse, dass die Probenzeit verlängert werden müsse, schließlich wurde die Uraufführung verschoben, dann ganz abgesagt.
Krenek glaubte, dass das auf Betreiben von Krauss geschah, der zu dieser Zeit bereits heftig nach Deutschland schielte - das Werk war zwar in seiner Handlung und im Libretto patriotisch, aber musikalisch konsequent in der von den Nationalen abgelehnten Zwölftonmusik gehalten.
Eine andere Erklärung: der Komponist und Heimwehr-Funktionär Joseph Rinaldini polemisierte in der Presse gegen das Werk, sah die Gefahr, es verletze "deutsche Gefühle". Ausserdem vertrete Kreneks Musikverlag auch sowjetische Komponisten, womit das Schreckgespenst des "Kulturbolschewismus" an die Wand gemalt wurde. Mitglieder der Wiener Philharmoniker, die auch Mitglieder der Heimwehrwaren, schlossen sich diesem Protest an und nannten die Oper künstlerisch fragwürdig.
Die Oper wurde in Wien erst 1984 aufgeführt.


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07.09.2024 15:00
#4
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Vielen Dank! Ich habe jetzt die entsprechenden Textstellen zu der Geschichte in "Im Atem der Zeit" gelesen.


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