Olga Tokarczuk: Unrast

24.11.2022 17:19
#1
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Was sich zunächst wie Notizen, geschrieben in Zügen und Flugzeugen, liest, weitet sich immer wieder zu einer Essayistik des modernen Nomadentums aus, zu Flucht und Verschwinden, aber auch vom Bewahren und Konservieren.

Beobachtend, reflektierend, erinnernd beschreibt die Autorin Momente, deren Besonderheit nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist, sich häufig aber aus späteren Bemerkungen ergibt. Immer wieder unterbrechen sie längere Erzählstränge. Es gibt Banales, Spektakuläres, Historisches, Medizinisches, die Autorin ist auf der Suche nach allem, „was kaputt, unvollkommen, defekt, zerbrochen ist. Mich interessiert das Unansehnliche, Irrtümer der Schöpfung, Sackgassen“. S. 24

Drei Briefe der Josephine von Feuchtersleben, der Tochter Angelo Solimans, eines Afrikaners, der in verschiedenen Funktionen am Hof des Fürsten von Liechtenstein tätig war, um die Entfernung seines präparierten Körpers aus dem Kaiserlichen Naturalienkabinett zu erwirken, das rätselhafte Verschwinden einer Frau und ihrer Tochter bei einem Spaziergang auf einer Insel und ihr Wiederauftauchen, die anatomischen Studien des Chirurgen Philip Verheyen und die Konservierungen, die sie begleiten, sowie die Reise des Herzens von Frederic Chopin nach Warschau umkreisen, neben vielen anderen, die Thematik von Leben und Tod, von Vergänglichkeit und Wandel. Reisen, entfernen, annähern, suchen: Unrast.

Der Originaltitel, ‚Bieguni‘, ist der Name einer Sekte, deren Mitglieder der Annahme waren, der Teufel würde ihrer habhaft werden wenn sie nicht ständig unterwegs wären.

Illustriert ist das Buch mit Landkarten aus verschiedenen Epochen.

Olga Tokarczuk (Jahrgang 1962) erhielt den Nobelpreis für Literatur des Jahres 2018. Sie war als Psychologin in der Tradition von Carl Gustav Jung tätig, inzwischen arbeitet sie ausschließlich literarisch.


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29.11.2022 04:13
#2
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Lieber Herr Medeke,
vielen Dank für Ihre - wie immer - inspirierende Rezension.
Vor nicht ganz einem Jahr habe ich zum gleichen Buch eine Rezension geschrieben - mit ganz anderer Herangehensweise und mit ganz anderen Erwartungen an das Buch.
Ich habe meinen Beitrag gerade nochmals hier auf Xobor eingestellt: Olga Tokarczuk UNRAST.
Genauso muss ein ein Buchblog laufen, indem man sich durch unterschiedliche Sichtweisen ein wenig reibt, aber vor allem befruchtet.


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04.12.2022 19:39
#3
An

Habe beide Rezensionen gelesen. Spannend, wie beide Leser mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen an das Buch herangehen und zu entsprechend unterschiedlichen Bewertungen kommen. Das spricht für die Vielschichtigkeit des Buches, das offenbar viele Fragen aufwirft - was ja meistens positiv ist.


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