Volker Kutscher: Transatlantik

31.01.2023 09:14
#1
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Berlin, 1937. Die kleine Familie Rath ist zerschlagen. Charlys Pläne, nach Prag zu gehen, müssen warten – ihr ehemaliger Pflegesohn Fritze wird von der SS in einer Nervenheilanstalt festgehalten, da er einen Mord eines SS-Mannes beobachtet hat. Und da ist auch noch ihre Freundin Greta, die spurlos verschwunden ist und unter Mordverdacht steht. Charly kämpft also an zwei Fronten: Fritze zu befreien und Greta zu finden und zu entlasten. Gereon Rath hingegen gilt gegenüber den Behörden als tot und ist untergetaucht, er liefert in der Provinz unter falschem Namen Wein aus. Allerdings taucht eine alte Bekannte auf und sorgt für beträchtliche Kalamitäten, die Gereon zuerst in Gefahr bringen und dann über den Atlantik führen, wo er mit alten Gegnern konfrontiert wird. Derweil wird in Deutschland die Situation immer bedrohlicher, die Vorzeichen stehen auf Krieg …

Der neunte Gereon Rath-Roman ist eigentlich ein Charlotte Rath-Roman, denn sie steht hier, vor allem in der ersten Hälfte des Buchs, im Mittelpunkt. Und ihre Situation ist tatsächlich nicht beneidenswert: zwar weiß sie, dass Gereon noch lebt, ein Kontakt zu ihrem Ehemann ist aber unmöglich. Zusätzlich ist sie durch ihr Engagement für Fritze weiterhin auf dem Radar der SS und der Mord am ehemaligen Geliebten ihrer Freundin Greta, einem SS-Offizier, bringt sie weiter in Bedrängnis. Es sind ihr nur wenige Freunde geblieben, man muss, um nicht Probleme mit der Obrigkeit zu bekommen, jedes Wort auf die Goldschale legen. Die Stimmung in diesem Roman ist deutlich düsterer als in den vorherigen, Angst und Paranoia machen sich breit. Vermutlich ist dies der vorletzte Roman dieser Serie, die schon jetzt als Meilenstein in der Geschichte in des historischen Krimis gelten kann, Volker Kutscher möchte dem Vernehmen nach die Serie mit den Novemberpogromen 1938 beenden. Das ist einerseits angesichts der konstant hohen Qualität der Bücher schade, andererseits eine kluge Entscheidung, um ein Totlaufen des Konzepts zu vermeiden. Fazit: wie immer empfehlenswert.
(PS: Die Rath-Romane können zwar im Großen und Ganzen unabhängig voneinander gelesen werden, für das Verständnis dieses Buchs ist aber die Lektüre des Vorgängers „Olympia“ angeraten. Rezension hier: Volker Kutscher: Olympia)


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07.05.2023 17:41
#2
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Vor Kurzem hatte ich eines der Kutscher-Bücher in der Hand, als mir die Dame des Büchergeschäftes ebenfalls sagte, es wäre gut, vorher eines der anderen Bücher gelesen zu haben. Ich habe dann etwas anderes geauft, da ich erfahrungsgemäß etwas lustlos lese, wenn ich weiß, daß das Buch eigentlich nur der Vorläufer zu dem ist, was ich eigentlich lesen wollte. Daher tue ich mich grundsätzlich mit Buchserien schwer, die aufeinander aufbauen (auch wenn ich die Clifton-Saga gelesen habe und die Brückenbauer-Reihe hier wartet).

Da ich derzeit Themen der 30er-Jahre nicht gerne lese, werde ich Kutscher also weiter vertagen. Danke für die Rezension.


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09.05.2023 10:38
#3
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Ich kann das gut nachvollziehen. Es wäre auch mMn nicht gut, mit "Transatlantik" in die Rath-Serie einzusteigen. Man kann zwar ws. der Handlung folgen, ohne die vorherigen Bände gelesen zu haben, vieles wird einem allerdings entgehen, womit man sich ein Gutteil der Qualität der Serie nimmt. Die Rath-Serie lebt stark von der Entwicklung der Hauptpersonen sowie der sich kontinuierlich verdüsternden Grundstimmung. So gesehen ist es kein Fehler, mit dem ersten Band ("Der nasse Fisch") zu beginnen. Selbst wenn man die Serie "Babylon Berlin" gesehen hat, wird man von dem Buch nicht enttäuscht sein - die TV-Bearbeitung war zwar gut und in sich stimming, weicht aber in vielem von der Vorlage ab.
Ich kann auch verstehen, dass man irgendwann genug hat "von dieser Zeit". Ich habe mir schon oft vorgenommen, dass ich mir mal eine Auszeit von ihr gönne - um immer wieder zu ihr zurück zu kommen. Der Drang, das Unverstehbare zu verstehen ist offensichtlich stärker.


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21.05.2023 13:02
#4
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Den Drang, das Unverstehbare zu verstehen, habe ich auch nach wie vor. Hierfür sind m.E. aber mittlerweile nur Sachbücher geeignet, mit denen ich mich wiederum nach all dem, was ich bereits gelesen habe, erst recht derzeit schwer tue. Romane und Familienhistorien kranken für mich oft daran, daß viele Inhalte aus der damligen Zeit eben vom Hörensagen abgeleitet sind und keine zeitzeugenschaftlichen Wahrheiten berücksichtigen. Zusätzlich verschwemmen die Jahrzehnte später entstandenen Blickwinkel das Thema. Es werden natürlich immer weniegr Autoren, die direkt die Zeit erlebt oder aus der Familie reale Informationen erhalten haben.
Daher habe ich aaktuell das Gefühl, aus derartigen Büchern nicht einen Mehrwert für das "Verstehen-Wollen" zu gewinnen.


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23.05.2023 08:41 (zuletzt bearbeitet: 23.05.2023 08:42)
#5
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Ich gebe ihnen teilweise recht. Allerdings habe ich rund 2 Laufmeter an Sachbüchern über diese Zeit im Regal (zugegeben: nicht alle gelesen ... die Protokolle der Nürnberger Prozesse hebe ich mir für den Lebensabend auf) und es erscheinen ständig neue Bücher, die mich durchaus reizen. Aktuell warten die Tagebücher von Viktor Klemperer im RUB, aber auch das ist ein Projekt, das wohl noch ein wenig warten muss. Ich empfinde aber einen belletristischen Zugang, wie ihn Kutscher hat, durchaus wertvoll: er recherchiert nach meiner Einschätzung sehr sauber und verbindet historische Darstellung mit prototypischen Schicksalen mit einer spannenden Krimihandlung. Zumal ja seine Protagonisten (zumindest anfangs) weder Nazis noch im Widerstand waren, sondern ganz normale, eher unpolitische Leute, eine Bevölkerungsgruppe, die in der Geschichtsschreibung eher unterbelichtet ist. Daher empfinde ich die Serie als gute Ergänzung zu den einschlägigen Standardwerken (Kershaw, Friedlander etc.).


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29.05.2023 16:20
#6
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Nun habe ich mir "Olympia" besorgt und steige dann doch nochmal in diese Zeit ein, nachdem ich gerade eher zufällig das Nachkriegs-Buch "Als Großmutter im Regen tanzte" angefangen habe.

Ich arbeite mich also zu "Transatlantik" vor.


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29.05.2023 16:37
#7
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Ich hoffe, ich habe nicht zu hohe Erwartungen geweckt!


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29.05.2023 17:05
#8
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Bei Büchern weiß ich ja - ähnlich wie bei Musik und anderer Kunst -, daß geweckte Erwartungen sich dann real stark in die ein oder andere Richtung entwickeln können. Insofern: das passt schon.


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