Karl Ove Knausgård: Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit

04.05.2023 13:29
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1986, Süd-Norwegen. Der 19jährige Syvert kehrt nach absolviertem Wehrdienst zu seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder Joar in den Heimatort zurück. Plan hat er vorerst keinen, er hängt mit seinen Freunden herum, trinkt gerne zu viel, hört Heavy Metal, beginnt wieder Fußball zu spielen und macht, vorerst erfolglos, einem Mädchen den Hof. Ein normales Teenagerleben, wäre da nicht diese Wolke aus Radioaktivität, die sich vom fernen Tschernobyl aus über Europa legt. Und der Umstand, dass es seiner Mutter offensichtlich nicht gut geht. Und diese zufällig gefundenen Briefe seines verstorbenen Vaters, die nahelegen, dass dieser eine Affäre mit einer russischen Frau hatte und seine Familie für sie verlassen wollte. Syverts Welt beginnt aus den Fugen zu geraten. Erst Jahre später macht er sich auf die Suche nach der Geliebten seines Vaters – mit einem überraschenden Ergebnis. In Moskau beschäftigt sich die junge Biologin Alevtina mit der Interaktion zwischen Bäumen und Pilzen. Durch ihren Vater und eine Freundin wird sie auf die Arbeit einer Gruppe von sowjetischen Wissenschaftlern aufmerksam gemacht, die sich nichts weniger als die Abschaffung des Todes zur Aufgabe gemacht haben. Ihre Arbeit verläuft aber im Sande. Jahre später nimmt ein Norweger mit einer überraschenden Enthüllung mit ihr Kontakt auf.

Knausgårds neuer Roman gilt als die Fortsetzung von „Der Morgenstern“ (Rezension hier: Karl Ove Knausgård: Der Morgenstern), über den größten Teil der 1050(!) Seiten ist er aber zeitlich vor den Ereignissen dieses Romans angesiedelt. Erst im letzten Teil mündet der neue Roman in die Welt von „Der Morgenstern“ ein, nämlich mit dem rätselhaften Erscheinen eines neuen Himmelskörpers. Das große Thema dieses Buches ist nichts weniger als der Tod. Er ist hier allgegenwärtig: Syvert wird mit dem Tod seines Vaters konfrontiert, mit der lebensbedrohlichen Erkrankung seiner Mutter, mit dem Reaktorunfall in Tschernobyl – schließlich wird er, mehr durch Zufall, selbst Bestatter. Und auch die zweite Hauptfigur Alevtina verlor jung ihre Mutter und muss das langsamen Sterben ihres Vaters miterleben. Dazu passen die Ausführungen über die Arbeiten der russischen „Cosmisten“, die nicht nur von der Unsterblichkeit, sondern sogar von der Wiedererweckung der Toten träumten. Was der Morgenstern mit all dem zu tun hat, soll hier nicht verraten werden.

Davor gibt es aber wieder Knausgård pur: viel Alltag, viel Kaffee- und Biertrinken, viel herumsitzen, auch viel Leerlauf. War der vorige Roman für seine Verhältnisse mit seiner Vielzahl von Personen sehr handlungsgetrieben, erinnern die „Wölfe“ (der Titel spielt auf ein Rilke-Gedicht an) wieder stärker an sein umfangreiches autofiktionales Projekt. Seine Fans werden diese Rückkehr zum typischen Knausgård-Sound wohl lieben. Andere, so wie ich, werden wohl eher durch die Frage bei der Stange gehalten: wo will der Mann mit all dem hin? Denn jetzt hat er bereits jede Menge Bälle in der Luft – man kann gespannt sein, ob und wie er die alle wieder auffangen wird.


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