Elisabeth Bronfen: Sylvia Plath.

15.04.2024 14:33
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Elisabeth Bronfen nähert sich dem „Mythos“ Sylvia Plath über eine Auseinandersetzung, die - etwa 20 Jahre nach ihrem Suizid - in der englischen Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Anlass war das Verschwinden des Grabsteins, unter dem sie beigesetzt worden war. Zuvor hatten mehrmals Beschädigungen der Inschrift stattgefunden, der Name ihres Mannes war zerstört worden. Die Entfernung des Steins eröffnete eine Debatte über die Bedeutung Plaths (nicht nur) in der englischsprachigen Literatur und die Verfügungsgewalt über ihr Grab, die Bronfen im ersten Teil des Buches rekapituliert und auch später immer wieder darauf zurück kommt.

„Unabhängig von ihrem ästhetischen Wert und unabhängig davon, wie man das Verhältnis zwischen ihrem Selbstmord und dem starken poetischen Ausdruck, den sie ihrem Schmerz und ihrer Wut verlieh, sieht, ist Sylvia Plath vielmehr deshalb für uns von Bedeutung, weil sich ihr Leben und ihre Arbeit auf so beunruhigende und spannungsgeladene Art gegenseitig authentifizieren.“ S. 37

Dieses Spannungsfeld untersucht Elisabeth Bronfen unter Hinzuziehung von biographischen und textanalytischen Arbeiten anderer Autor:innen sowie der Originaltexte Plaths selbst, soweit das möglich ist. Denn zu Lebzeiten wurden - neben einigen Geschichten und Gedichten in amerikanischen und britischen Zeitschriften - nur der Gedichtband „The Colossus and Other Poems“ (1960) und - unter dem Pseudonym Victoria Lucas - der Roman „The Bell Jar“ (London 1963; die deutsche Übersetzung „Die Glasglocke“ erschien 1968) veröffentlicht. Alle späteren Veröffentlichungen erfolgten durch Ted Hughes, ihren Ehemann, und ihre Mutter Aurelia Schober Plath oder wurden erheblich von ihnen beeinflusst. Es ist mehr als eine Vermutung, dass dabei wesentliche Intentionen der Autorin verändert oder eliminiert wurden. So vernichtete Ted Hughes den letzten Band ihrer Tagebücher, der in der Zeit vor ihrem Suizid und während der Trennung von Hughes geschrieben worden ist, ein weiterer Band verschwand spurlos.

Um sich dem Werk Sylvia Plaths analytisch zu nähern, teilt Elisabeth Bronfen ihre Texte in drei Kategorien ein:

-autobiografische Schriften (Tagebücher und Briefwechsel)
-Dichtung
-Prosa

Zentral ist die Frage: Hätte das Werk Sylvia Plaths eine ähnliche Bedeutung erlangt, wäre die Autorin nicht durch eigene Hand aus dem Leben geschieden? Auch hier, wie schon im einleitenden Kapitel über den „Mythos Plath“, konfrontiert sie Biografien und Textinterpretationen mit dem Werk selbst und ihren eigenen Analysen. Daraus ergibt sich ein differenziertes Bild der Autorin und ihres Werks, das von tief sitzenden Ängsten, heftigen Konflikten mit den gesellschaftlichen Rollenerwartungen und dem unbedingten Willen, sich einen Namen zu machen und literarisch erfolgreich zu sein, durchzogen ist und tragisch begründet wird. Die beispielhaften Textanalysen, die E. Bronfen durchführt, erleichtern den Zugang, speziell zu den Gedichten, erheblich.

Elisabeth Bronfen (*1958) ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin mit einer umfangreichen Publikationsliste. Ihre Habilitationsschrift „Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik“ ist eine bemerkenswerte Analyse weiblicher Todesdarstellungen in der westlichen und patriarchalen Kultur. 2017 wurde ihr der Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung verliehen, 2021 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Elisabeth Bronfen:
Sylvia Plath.
Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Paluch und Robert Habeck.
Frankfurter Verlagsanstalt 1998. 220 Seiten, ISBN 3-627-00016-1


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