William Gaddis: Das mechanische Klavier.

19.04.2024 15:43
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„Das mechanische Klavier“ ist Gaddis‘ letztes und kürzestes Werk, es erschien postum und ist trotz der fragmentarischen Anlage des Textes so komplex wie seine anderen, erheblich umfangreicheren Bücher.

„Das mechanische Klavier“ ist der innere Monolog eines Sterbenden, der sein letztes, noch unvollendetes Werk über die Mechanisierung der Künste und speziell des Klaviers beenden will und sich darüber in ausschweifende Assoziationsströme verliert, die den Verfall der Kultur und des Niveaus, mit dem Kunst geschaffen und rezipiert wird, beklagen. Wer würde da nicht sofort an Thomas Bernhard denken und in der Tat, der Erzähler fühlt sich von Bernhard plagiiert und zwar schon bevor er selbst die Gedanken formuliert hat, derer sich Bernhard dann bedient.

Gaddis sammelte über Jahrzehnte Material für ein Werk über die Mechanisierung der Kunst und wir lesen über die erstaunliche Entwicklung des mechanischen Klaviers und seinen Erfolgszug über die Welt. Es ist die Geburtsstunde der Massenkunst und für den Erzähler der Anfang vom Ende all dessen, was dem Leben Bedeutung gegeben hat, das Ende der wahren Kunst. Der Erzähler liegt in seinem Krankenzimmer inmitten all der Unterlagen und Notizen, die er für die Fertigstellung seines Werkes gesammelt hat. Der Unordnung des Raums entsprechen die sprunghaft wechselnden Suaden des Kranken. Der Auflösung seines Geistes und dem Verfall seines Körpers setzt er - sich vergeblich aufbäumend - sein immenses Wissen entgegen, dem jedoch jede Struktur abhanden gekommen ist. Pascal, Tolstoi, „Sigi“ Freud, Internet, Kulturkritik, Hegel, Platon, doch immer wieder - als einziges Kontinuum - das mechanische Klavier münden in die Resignation der Vergeblichkeit.

Als ich das Buch anfing zu lesen, war ich erschrocken als ich merkte, dass der Text von keinem einzigen Absatz strukturiert wird. Vor mir lag eine Bleiwüste, die ich ähnlich schon bei Gaddis‘ „In letzter Instanz“ und W.G. Sebalds „Austerlitz“ erlebt und darunter gelitten hatte. Zumal mir in beiden Fällen die Sinnhaftigkeit dieser Form nicht nachvollziehbar war. Ganz anders bei „Das mechanische Klavier“, das durch das Fehlen einer optischen Textstruktur den atemlos monologischen Charakter noch eindringlicher werden lässt.

William Gaddis (1922-1998) war ein US-amerikanischer Autor mit einem überschaubaren und von der Kritik nicht einhellig bewerteten Werk. Gaddis schrieb „Das mechanische Klavier“ während seiner langen und schmerzhaften Krebserkrankung, der er schließlich auch erlag.

William Gaddis:
Das mechanische Klavier.
Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay
Manhattan Verlag 2003, 120 Seiten, ISBN 3-442-54551-X


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