Daniel Kehlmann: Über Leo Perutz.

14.09.2024 14:40
#1
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Daniel Kehlmann, einer der erfolgreichsten Autoren im deutschen Sprachraum, wird nicht müde, seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen darüber, dass Leo Perutz, den er bewundert und verehrt, nicht den Ruf genießt, den er verdient, und dass er dem heutigen Lesepublikum weitgehend unbekannt ist. Mit diesem schmalen Bändchen tritt Kehlmann an, das zu ändern.

Gleich zu Beginn grenzt Kehlmann Perutz gegen Zeitgenossen wie Joseph Roth, Anton Kuh, Franz Kafka und Lion Feuchtwanger ab, von denen sich Elemente und Stilmittel in Perutz‘ Werk finden lassen. Allerdings sieht Kehlmann die Stärken des Perutzschen Werks anderswo: in der „Kunst der mehrdeutigen Dramaturgie“. (S. 13)

Kehlmann verfolgt die Spuren dieser Dramaturgie über mehrere Werke hinweg, um schließlich bei „Nachts unter der steinernen Brücke“ zu landen, das er für das Meisterwerk des Leo Perutz hält. Der Roman besteht aus 14 Kapiteln, die alle unabhängig voneinander gelesen werden können, die jedoch aufs Raffinierteste miteinander verwoben sind. Akribisch legt Kehlmann die Fäden offen, die Handlung und Protagonisten miteinander verbinden, springt vor und zurück, zitiert aus einer früheren Erzählung, um eine spätere zu erläutern und erklärt: „Es geht aber viel mehr um das eigentümliche Erlebnis, während der zweiten und dann noch deutlicher während der dritten Lektüre mit anzusehen, wie hier allmählich ein Bild entsteht, das vollständiger und reicher ist, als die in den Geschichten oft nur angedeuteten Details es eigentlich erlauben würden.“ S. 94

Kehlmanns Buch ist ein einziger Appetitanreger für eine intensive Lektüre der Werke des Leo Perutz, der - und da stimme ich mit ihm überein - völlig zu Unrecht viel zu wenig Beachtung findet. Mich hat er überzeugt, und ich freue mich schon auf meine nächste Perutz-Lektüre.

Daniel Kehlmann:
Über Leo Perutz.
Vorwort von Volker Weidermann.
Kiepenheuer & Witsch 2024, 105 Seiten, ISBN 978-3-462-00406-9


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18.09.2024 12:43
#2
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Zitat von Klaus Medeke im Beitrag #1

Kehlmann verfolgt die Spuren dieser Dramaturgie über mehrere Werke hinweg, um schließlich bei „Nachts unter der steinernen Brücke“ zu landen, das er für das Meisterwerk des Leo Perutz hält. Der Roman besteht aus 14 Kapiteln, die alle unabhängig voneinander gelesen werden können, die jedoch aufs Raffinierteste miteinander verwoben sind.

Oh, sowas find ich immer faszinierend!


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18.09.2024 16:57
#3
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Wie während der zweiten und dritten Lektüre ein Bild entsteht... Macht das jemand? Gestern habe ich eine Zweitlektüre von Andrea Giovenes "Das Haus der Häuser" abgeschlossen, das ich vor 9 Jahren schon einmal gelesen hatte. Es war wieder faszinierend, und ich glaube, dass ich es dieses Mal anders gelesen habe als beim ersten Mal. Aber genauer könnte ich das gar nicht benennen. Und ich glaube auch, dass ich so sezierend gar nicht lesen möchte. "Das Haus der Häuser" ist der dritte von fünf Bänden der "Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero". Oliver hat sie alle schon besprochen. Da ich von der Lektüre von vor 9 Jahren wusste, dass sehr viele Personen bei Giovene auftauchen und angenommen habe, dass sie durch die 5 Bände hindurch immer wieder auftauchen könnten und ich ein ausgesprochen schlechtes Namensgedächtnis habe, habe ich mit dem 1. Band eine kleine Personendatenbank begonnen und tatsächlich bis in den 3. Band hinein durchgehalten. Aber es war anstrengend und hat den Lesefluss immer wieder unterbrochen. Nach etwa einem drittel des 3. Bandes habe ich es dann aufgegeben und hatte prompt wieder viel mehr Freude an der Lektüre. Mir mag dann der eine oder andere Zusammenhang nicht aufgefallen sein, aber Scheiß drauf.


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