Andrea Giovene: Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero – Das Haus der Häuser

15.06.2023 14:06
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Nach seinen Wanderjahren durch Europa lässt sich Giuliano auf dem von seinem Onkel geerbten Grundstück in Licudi, einem abgeschiedenen Dorf fernab von Neapel, nieder. Er beschließt, hier, zwischen Olivenhainen und dem Meer, ein Haus zu bauen (das, weil es im Unterschied zu den Häusern der Einheimischen mehr als 2 Räume haben soll, bald das „Haus der Häuser“ genannt wird). Die Beschaffung und der Transport der Baumaterialien gestalten sich schwierig, aber Giuliano gewöhnt sich an das gemächliche Tempo, wird auch immer mehr von der Dorfgemeinschaft akzeptiert. Er fühlt sich, zum ersten Mal in seinem Leben, an einem Ort heimisch, beginnt sogar das Dorfleben zu romantisieren. Doch auch hier ist der Mensch nun einmal Mensch, es gibt auch Schattenseiten, Affären, Intrigen, Erbstreitigkeiten. Und wieder ist es die Liebe zu einem (in diesem Fall sehr jungen) Mädchen, die Giulianos Leben durcheinander bringt. Durch den Entschluss, den Bau einer Straße voranzutreiben, die Licudi an die große Welt anbindet, kommen Neid, Missgunst und auch die Faschisten in den Ort. Als die bukolische Idylle immer mehr zerstört wird, zieht der 2. Weltkrieg herauf – und Giuliano verlässt Licudi für immer.

Der dritte Band von Giovenes fünfbändiger Chronik seines fiktionalisierten Alter Egos bildet einen starken Kontrast zum vorigen Band (Rezensionen der ersten beiden Bände hier: Andrea Giovene: Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero – Ein junger Herr aus Neapel, Andrea Giovene: Die Autobiographie des Giuliano de Sansevero – Die Jahre zwischen Gut und Böse). War der zweite Band geprägt von rastlosen Reisen und ständigen Schauplatzwechseln, fokussiert sich hier alles auf ein winziges Dorf, weit weg von der Großstadt. Dem beschaulichen Landleben ist auch das Erzähltempo angepasst, Giovene nimmt sich viel Zeit, um den Wechsel der Jahreszeiten, die bäuerliche Arbeit, die Fischerei und die Eigenheiten der Dorfbewohner zu beschreiben, schiebt auch immer wieder philosophische Überlegungen ein. Es ist ein langsames Buch, das auch langsam gelesen sein will, um die schöne Sprache des Übersetzers Moshe Kahn zu würdigen. Giovenes Opus magnum ist Entwicklungs- und Bildungsroman und Chronik Italiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugleich, und noch einiges mehr. Ganz ehrlich: ich kann meine Begeisterung über diese Wiederentdeckung eines großartigen Romans kaum adäquat ausdrücken - und auch nicht meine Vorfreude auf den vierten Band!


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